Vor dem Licht.
Ein Flimmern im frühen Dezember.
Auf dem alten Holztisch liegt noch ein Buch. Aufgeschlagen. Seine Seiten atmen die Müdigkeit eines langen Tages aus. Fast so, als hätten sie selbst aufgegeben, weiterzuerzählen. Das Licht einer Straßenlaterne fällt durch ein Fenster flach darüber. Ein schiefer Winkel aus Abendrest und Schweigen, fast wie das Leben selbst. Ein Satz darin bleibt einfach unberührt, als hätte niemand mehr die Kraft, ihn zu Ende zu denken. „Manchmal gibt es keine Wahrheit, nur die Entscheidung, mit welcher Version man leben kann.“ Er trifft. Nicht laut. Nicht hart. Eher wie ein kalter Luftzug. Einer, der von innen kommt. Vielleicht bleibt er deshalb unberührt. Weiterblättern hieße, sich selbst nicht länger zu schonen. Vielleicht, weil jede Version, mit der man leben kann, zugleich die ist, an der man ein wenig zerbricht. Manchmal endet ein Tag im Dunkeln, ohne dass man noch etwas denkt. Und manchmal beginnt er so.

Ja. Manchmal beginnt ein Tag im Dunkeln. Noch bevor man etwas denkt. Der Wald liegt am Rande des Dorfes. Still. Die Luft ist kühl und schwer. Verregnet. Irgendwo zwischen den Zweigen glühen ein paar rote Beeren wie kleine Versprechen, die niemand laut ausspricht. Es ist ein Bild, eine Art Licht, das nicht wärmt, aber etwas in einem weckt. Ein leiser Hinweis, dass selbst im tiefsten Schatten noch Farbe steckt. Während ich den Weg entlangging, hörte ich das Knacken der Äste unter den Schuhen, allerdings gedämpft vom feuchten Boden. Es ist Dezember, und die Welt scheint sich langsamer zu drehen. So, als würde sie Rücksicht nehmen auf etwas, das ich selbst noch nicht verstehe. Und die Kälte, die noch kein winterlicher Frost ist, sondern irgendetwas davor, hat ihre eigene Ruhe. In ihr ordnen sich die Gedanken anders. Klarer. Vorsichtiger. Heute ist so ein Tag, an dem man nicht viel braucht. Ein Schritt nach dem anderen. Das reicht.
Während ich so spaziere, erinnere ich mich an einen Klang. Nichts Auffälliges. Ein Stimmengewirr. Irgendwie, als hätte jemand die Lautstärke der Welt heruntergedreht. Ich denke an einen Ort. Einen besonderen. Einen, an dem Menschen zusammenkommen, ohne zu vergessen, wo sie sind. Mitten im Wald. Mitten im Winter. Es gibt Feuer, warme Getränke, den Geruch von Holz, der sich in die Kleidung legt wie eine Erinnerung, die man erst später versteht. Auf dem Weg sieht man Lichter. Kleine, warme Punkte zwischen den Bäumen. Sie versprechen nichts, außer dem, was sie sind: etwas Helligkeit in der frühen Dunkelheit. Man folgt ihnen nicht, um etwas zu finden, sondern um für einen Moment weniger verloren zu wirken. Die Menschen um einen herum, die dort stehen, sprechen leise. Sie halten ihre Becher mit beiden Händen, atmen kleine Wolken in die Luft und lassen die Zeit einfach ziehen. Niemand drängt. Niemand fordert. Es gibt keine Erwartungen. Und vielleicht ist das einfach das Schönste dort, dass es keine Erwartungen gibt. Man darf einfach sein, zwischen fremden Gesichtern, warmem Licht und dem vertrauten Geräusch des Windes, der durch die Bäume zieht.
Als ich den Weg, den Wald und die Felder hinter mir lasse und das Dorf wieder erreiche, steht irgendwo am Rand ein altes Haus. Ich sehe es jeden Tag. Die Fassade ist gemauert, dunkel, das Holz der Tür verwittert, wahrscheinlich, weil sie mehr Winter gesehen hat als ich. Ein schmaler Lichtstreifen fällt unter dem Türspalt hervor. Früher, denke ich, als ich an dem Haus vorbeigehe, hätten die Kinder an einem Abend wie diesem ihre Stiefel dort abgestellt. Sauber geputzt, in der Hoffnung, dass jemand sie füllt. Vielleicht nicht aus Glauben, sondern aus einem leisen Wunsch nach Wärme. Jetzt steht nichts vor der Tür. Nur das Ende eines Morgens. Nur der Wind, der über die Stufen streicht. Ich gehe weiter. Alles ist still. Vielleicht bereitet sich etwas vor. Vielleicht auch nicht. Man wird es sehen.